Kapitel 6: Folgen von Kochsalzmangel und kritische Studien zur Salzreduzierung
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Kochsalzreduktion: diese aktuelle Studie wirbelt eine Menge Staub auf


1. Warum diese Studie das Salzdogma zum Wanken bringt

 

 

It’s Time to End the War on Salt[1.  Melinda Wenner Moyer, It’s Time to End the War on, Scientific American, Internet: http://www.scientificamerican.com/article/its-time-to-end-the-war-on-salt/ (Stand: 11.2014).]

Diese Überschrift eine Artikels des Wissenschaftsmagazin Scientific American von 2011 macht es deutlich: Nicht nur Salzhersteller und deren Lobbyisten-Verbände vertreten die Ansicht, dass man sich mit Salz ein falsches Feinbild ausgesucht hat, sondern auch ernstzunehmende Wissenschaftler.

bombe_c_502016 kam dann sozusagen der Supergau für alle Gegner von zu viel Kochsalz und natürlich auch für alle Organisationen, die auf höchster Ebene um die Reduzierung von Salz in verarbeiteten Lebensmittel kämpfen. Man braucht sich nur diese U-förmigen Kurven der Studie „Associations of urinary sodium excretion with cardiovascular events in individuals with and without hypertension: a pooled analysis of data from four studies“ näher anzuschauen, und es wird schnell klar, welche Brisanz dahinter steckt.
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1.1   Studienaufbau


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Beteiligte Institute: Population Health Research Institute of McMaster University und Hamilton Health Sciences (beide aus Canada). 

Leiter der Studie: Prof. Andrew Mente, Epidemiologe an der McMaster University in Hamilton.

Quellenangabe: Andrew Mente et al., „Associations of urinary sodium excretion with cardiovascular events in individuals with and without hypertension: a pooled analysis of data from four studies”, Lancet. 2016 Jul 30;388(10043):465-75. doi: 10.1016/S0140-6736(16)30467-6. Epub 2016 May 20.

Welche primären Ergebnisse liefert die Studie:

  • Wie wirkt sich eine geringe und hohe Natriumaufnahme auf den Blutdruck aus?
  • Gibt es einen Zusammenhang zwischen Todesfällen jeglicher Art, Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz und der Höhe der täglich aufgenommenen Kochsalzmenge (gemessen an der geschätzten Natriumausscheidung)?

Art der Studie: Metaanalyse auf Basis von vier großen prospektiven Kohortenstudien.

  • PURE von 2003-2009 mit ca. 140.000 Teilnehmern
  • EpiDREAM von 2008-2010 mit 15.466 Teilnehmern
  • ONTARGET von 2001-2007 mit 25.620 Teilnehmern
  • TRANSCEND von 2001-2007 mit 5.926 Teilnehmern

Anzahl der ausgewerteten Teilnehmer: 133.118 Personen aus insgesamt 49 Ländern.⇒

Zusammensetzung:

  • 559 mit Hypertonie (ab einem Blutdruck von 140/90, bzw. Patienten die Hochdruckmedikamente einnehmen)
  • 559 ohne Hypertonie
  • zu Studienbeginn litten 98.612 (74 %) nicht unter einer Herz-Kreislauf-Erkrankung und
    232 (89 %) nicht unter Diabetes

Alter der Teilnehmer: 45-63 Jahre (Durchschnittsalter 55 Jahre)

Beobachtungszeitraum: 4,2 Jahre

Erfassung der Natriumaufnahme: über eine (einzige) Nüchtern-Morgenurin-Probe wurde die Ausscheidung von Natrium ermittelt und daraus die tägliche Natriumaufnahme mittels der Kawasaki-Formel geschätzt.

Erfassung des Blutdrucks: Zu Studienbeginn 2 Blutdruckaufzeichnungen innerhalb von 5 Minuten in sitzender Position.abstand


1.2   Die Ergebnisse nach einem Beobachtungszeitraum von 4,2 Jahren


abstand1.2.1   Die geschätzte Natriumausscheidungabstand

 

Mittlere Natriumausscheidung / Tag

Teilnehmer mit Hypertonie

4956 g / Tag (= 12,4 g Kochsalz)

Teilnehmer ohne Hypertonie

4823 g / Tag (= 12,1 g Kochsalz)

 

 

 

Gestaffelte Natriumausscheidung /
Tag

 

< 3,0 g

3-7 g

> 7 g

Teilnehmer mit Hypertonie

7006 (11,2 %)

49.493 (77,9%)

7060 (11,1 %)

Teilnehmer ohne Hypertonie

7547 (10,8 %)

55.741 (80,1 %)

6271 (9,0 %)

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 1.2.2   Zusammenhang zwischen Natriumaufnahme und Bluthochdruck
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Durchschnittlicher Anstieg des
Blutdrucks pro Gramm zusätzlich aufgenommenes Natrium am Tag

 

systolischer Blutdruck

diastolischer Blutdruck

Teilnehmer mit Hypertonie

2,08 mmHg

0,72 mmHg

Teilnehmer ohne Hypertonie

1,22 mmHh

0,52 mmg

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Grafik der Originalstudie (externer Link)
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1.2.3 Eintritt von schweren kardiovaskulären Erkrankungen und Tod jeglicher Ursache abstand

Anzahl der Personen

Teilnehmer mit Hypertonie

6853 (11 %)

Teilnehmer ohne Hypertonie

3021 (4 %)

abstand1,2.4. Das gesundheitliche Risiko in Abhängigkeit von der täglichen Natriumaufnahmeabstand

Durchschnittliche Gefahr für den
Eintritt einer schweren kardiovaskulären Erkrankung bzw. den Tod jeglicher
Ursache

Teilnehmer mit Hypertonie (hypertensiv)

< 3 g Natrium tgl.

(< 7,5 g Kochsalz)

je niedriger die Natriumzufuhr, desto höher war das Risiko

Insgesamt lag das Risiko am geringsten bei
4-5 g Natrium

= 10 – 12,5 g Kochsalz

> 7 g Natrium tgl.

(> 17,5 g Kochsalz)

je höher die Natriumzufuhr, desto höher war das Risiko

 

Teilnehmer ohne Hypertonie (normotensiv)

< 3 g Natrium tgl.
täglich

je niedriger die Natriumzufuhr, desto
höher war das Risiko

> 8 g Natrium tgl.
(> 20 g Kochsalz)

je höher die Natriumzufuhr, desto höher war das Risiko (statistisch aber
unbedeutender Anstieg)

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Die Zahlen sprechen eigentlich für sich:

  • Der Blutdruck steigt mit der Höhe der Natriumzufuhr. Relevant ist der Anstieg aber nur für Hypotoniker.
  • Studienteilnehmer mit Bluthochdruck: sowohl zu viel, wie auch zu wenig Natrium in der Ernährung können schwere kardiovaskulären Erkrankungen und vorzeitigen Tod fördern.
  • Studienteilnehmer ohne Bluthochdruck: niedrige Natriumengen erhöhen auch hier das Risiko. Dagegen machen selbst hohe Natriummengen überhaupt keine Probleme im Zusammenhang mit einem schwerwiegenden Ereignis oder sie sind statistisch nicht von Bedeutung.

2. Kritikpunkte die von Kochsalzgegnern angeführt werden

 

 


2.1   Ungenaue Erfassung der Natriumaufnahme


abstandNicht jeder Wissenschaftler teilt die Meinung, dass man von der morgendlichen Natriumausscheidung auf den 24-Stundenwert schließen kann. So auch Prof. Jens Titze, der dies im Rahmen der „Mars500-Mission“ genauestens untersucht hat. Bei der „Mars500-Mission“ vom Juni 2010 bis November 2011, simulierten 6 Kosmonauten den bemannten Flug zum Mars in einer Isolationskammer.

Bei der Untersuchung im Zusammenhang mit Salz, folgten die Teilnehmer genauen Ernährungsplänen. Dabei verzehrten sie über einen Zeitraum von 205 Tagen mit den Mahlzeiten 12 g, 9 g, 6 g und dann wieder 12 g Kochsalz täglich. Durch die strikte Einhaltung der jeweiligen Kochsalzaufnahme, konnte Titze feststellen, dass zu große Salzmengen anders wie bisher angenommen, nicht sofort ausgeschieden werden. Stattdessen erfolgt die Ausscheidung schwankend über mehrere Tage und sogar über einen Wochen- und Monatsrhythmus.

zitat_b_50Deshalb kommt der Mediziner Titze zu dem Schluss: „Die in unserer täglichen Praxis übliche 24-Stunden-Urinuntersuchung reicht anscheinend nicht aus, um sicher abschätzen zu können, wieviel Salz ein Mensch gegessen hat“[1. http://www.dlr.de/dlr/desktopdefault.aspx/tabid-10212/332_read-5990/year-all/#/gallery/8519].

Außerdem kommt es bei einer Schätzung der Natriumausscheidung auch noch auf die Genauigkeit der Formel an. Neben der Formel nach Kawasaki, gibt es auch andere Gleichungen (Brown, Tanaka, Toft, Johner [1. https://bmcnutr.biomedcentral.com/articles/10.1186/s40795-016-0075-5] mit denen man zu abweichenden Ergebnissen kommt.

Weitere Störfaktoren (externer Link)

Eigene Einschätzung: 

Weder durch eine (einzige) Nüchtern-Morgenurin-Probe, noch eine 24-Stunden-Urinuntersuchung, kann man Aussagen über die genaue Höhe der individuellen Kochsalzzufuhr treffen. Bei der Bewertung darf man aber nicht nur das einzelne Individuum heranziehen, sondern alle Proben. In diesem Fall war die Population mit 133.118 Personen relativ groß. Daher kann man davon ausgehen, dass einzelne Messungenauigkeiten keinen großen Einfluss auf das Gesamtergebnis haben. Das Argument der „ungenauen Erfassung der Natriumaufnahme“ ist daher nicht sehr stichhaltig.

Aber auch wenn man mit der geschätzten Natriumausscheidung zum Beispiel um 10 % falsch liegen würde, so ändert das kaum etwas an der Tendenz: zu wenig Natrium in der Ernährung kann schaden (zumindest, wenn man nur die absoluten Zahlen gegenüberstellt und man annimmt, dass es keine anderen Fehlerquellen gibt).

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2.2   Auslegung der Statistik


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Aus dem Ergebnis leiten die Kochsalzbefürworter ab, dass eine extreme Natriumrestriktion schadet und für Menschen ohne Bluthochdruck eine hohe Zufuhr von Kochsalz kaum eine Gefahr darstellt.

Organisationen, wie die „Consensus Action on Salt and Health“ (CASH) , warnen dagegen vor voreiligen Schlüssen und kehren die Beziehung von Ursache und Wirkung um.

Die britische Verbraucherorganisation argumentiert folgendermaßen: Nicht die geringe Salzaufnahme, fördert Tod und Krankheit, sondern Menschen mit schweren Erkrankungen sind gar nicht in Lage hohe Salzmengen zu verzehren.

Ein Beispiel, welches den Zusammenhang deutlicher macht: Ein fiktiver Patient hat ein schweres Magen-Darm-Leiden und wie man an der Grafik sieht, steigt das Sterberisiko sowohl wenn man zu wenig Kalorien zu sich nimmt, als auch bei zu hoher Kalorienaufnahme.

sterberisiko_2

fragezeichen_c_50Was würde man daraus schließen? Dass der Patient sich bewusst zu Tode gehungert hat, oder dass er krankheitsbedingt weniger oder keine Nahrung mehr zu sich nehmen konnte.

Eigene Einschätzung:

Hilfreich bei der Beurteilung wäre, wenn Informationen darüber vorliegen würden, inwieweit Patienten die Kochsalzaufnahme aufgrund einer Erkrankung reduzierten. Diese liegen aber nicht vor.
26 % der Teilnehmer litten unter einer Herz-Kreislauf-Erkrankung und 11 % unter Diabetes. Bei Ihnen könnte die geringe Kochsalzaufnahme tatsächlich eine Rolle gespielt haben, wenn sie schon zum Studienbeginn krankheits- oder vorsorgebedingt die Salzzufuhr reduziert haben.

Bei den Teilnehmern ohne Bluthochdruck kann man diesen Schluss aber nicht so einfach ziehen, denn es wurden ja nicht ganz bewusst kranke Patienten ausgewählt.

Letztendlich gilt: die „Henne-Ei-Frage“ ist bei vielen Studienbewertungen ein sehr kritischer Punkt. Bisher wurden allerdings kaum Argumente der Kochsalzgegner ins Felde geführt, die stichhaltig genug sind, dass man dieser Studie keine Beachtung schenken sollte. Und auch wenn es vielen Anti-Salz-Bewegungen nicht passt, darf man diese Ergebnisse deshalb nicht einfach verschweigen, darüber hinwegsehen oder auf die leichte Schulter nehmen.

3. Offene Fragen
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  • Ist ein durchschnittliches Alter von 55 Jahren repräsentativ für die ganze Bevölkerung (auch in Hinblick auf die geringe Sterberate in diesem Alter)?
  • Was ist mit anderen Studien, wie die TOPH I (1987-1990) und die TOHP II (1990-1992)? → . Dort wurde belegt, dass eine Salzbeschränkung sehr wohl die Gesamtsterblichkeit senkt und vor kardiovaskulären Erkrankungen schützt. Voraussetzung: man praktiziert die Salzreduktion über einen längeren Zeitraum. Die insgesamt 3.126 Studienteilnehmer mit leicht erhöhten („hochnormalen“) Blutdruckwerten im Alter von 30 bis 54 Jahren wurden auf zwei Gruppen, mit und ohne Kochsalzreduktion, aufgeteilt.
    • Kochsalzreduktion TOHP I für 18 Monate: 2,6 Gramm pro Tag (44 mmol)
    • Kochsalzreduktion TOHP II für 36-48 Monate: 1,9 Gramm pro Tag (33 mmol)

10 bzw. 15 Jahre später wurde eine weitere Datenerhebung durchgeführt. Wie Dr. Nancy R. Cook (Harvard Medical School, Boston) feststellte, erbrachte der Salzverzicht im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht nur signifikant weniger kardiovaskuläre Ereignisse (25 %); auch die Todesrate war 20 % niedriger.

  • Was ist mit Risikogruppen bzw. Erkrankungen wie Osteoporose oder Nierenschwäche, die empfindlich auf eine unangemessene Kochsalzzufuhr reagieren?
  • Wie müssen Studien bewertet werden, bei denen nachgewiesen wurde, dass man durch eine Kochsalzreduktion in Kombination mit einer höheren Kaliumaufnahme sehr gute Erfolge erzielen kann?
  • Welchen Schluss muss man daraus ziehen, dass selbst sehr hohe Salzmengen für Menschen mit normalem Blutdruck keine Belastung sind?

Der letzte Punkt hat in Hinsicht der Bedeutung von gesunder Ernährung eine besonders hohe Tragweite.

ausrufezeichen_c_50Selbst bei einer Natriumaufnahme von 12 Gramm am Tag (= 30 g Kochsalz) müssen Menschen ohne Bluthochdruck, nicht mit negativen Auswirkungen auf die kardiovaskuläre Gesundheit rechnen.

Solch hohe Mengen kann man aber nur mit stark verarbeiteten Lebensmitteln und Fast-Food zu sich nehmen, da der Salzanteil dort am höchsten ist. Wenn man dies unter diesem Aspekt betrachtet, könnte man den Schluss ziehen, dass von Lebensmitteln die vollgestopft sind mit minderwertigen Rohstoffen, Zucker, Zusatzstoffen und leere Kalorien keine Gefahr ausgeht.

fragezeichen_c_50Im Gegensatz dazu, sollen geringe Mengen an Kochsalz dem Menschen schaden. Am kochsalzärmsten sind aber frische Lebensmittel wie Obst, Gemüse oder Nüsse und mit Gewürzpflanzen zubereitete Mahlzeiten. Provokant könnte man sagen, je höher der Anteil an frischen, frisch zubereiteten und unraffinierten Lebensmitteln ist, desto höher ist das Sterberisiko.

Ist das aber wirklich so?

Auch hier gilt:  es kommt auch darauf an, was man herausfinden will. Die Kohortenstudien ONTARGET und TRANSCEND, deren Ergebnisse in der hier vorgestellten Studie eingeflossen sind, zeigten sehr wohl einen sehr deutlichen Zusammenhang zwischen gesunder Ernährung und der Gefahr von kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall.

Die Auswertung erfolgte anhand einer Befragung nach den Essgewohnheiten von Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung (das durchschnittliche Alter lag bei 66,5 Jahren).

Im Vergleich zur ungesündesten Ernährung, gab es nach 56 Monaten in der Gruppe mit der gesündesten Ernährung eine Senkung des Risikos

  • der kardiovaskulären Mortalität um 35%,
  • neuer Herzattacken um 14%,
  • des kongestiven Herzversagens um 28%
  • und der von Schlaganfällen um 19%

zitat_b_50Dr. med. Klaus Ehrenthal, ein außerordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission, spricht von einer „kleinen Sensation“ und er gibt auch zu bedenken: Der kardiopräventive Effekt durch gesunde Ernährung übertraf den der Angiotensin-Rezeptorblocker (ACE-Hemmer, Sartane) deutlich“. [3. Dr. med. Klaus Ehrenthal, „Wirkung der kardiovaskulären Sekundärprävention – Gesunde Ernährung bringt auf Dauer mehr als ACE-Hemmer und Sartane“, KVH•aktuell Nr. 1 / 2013, Seite 4.]

Copyright, Layout, Text, Grafik: Claus Barta

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Quellenangaben